Was macht eigentlich die Schwanzmeise übers Jahr?
Kuschelnd durch den Winter
Wenn der Winter anbricht, schließen sich Schwanzmeisen (Aegithalos caudatus) zu einem größeren Trupp zusammen. Die etwa 30 Vögel ziehen dann gemeinsam in ihrem Revier umher. Dabei geben sie permanent kurze, hohe Zirplaute von sich. So versichern sie sich gegenseitig, dass alle noch da sind und alles in Ordnung ist.
Nachts suchen sie sich einen gemeinsamen Schlafzweig. Wer neben wem sitzt und in welche Richtung guckt, wird jeden Abend neu verhandelt. Die ranghöchsten Vögel hocken in der Mitte. Fängt einer an zu stänkern, löst sich die Sitzordnung auf und wird neu zusammengestellt. Dieser Prozess kann bis zu einer halben Stunde dauern. Es ist wichtig, dass sich jeder an seinem Platz wohlfühlt, denn sie rücken für die Nacht eng zusammen, um der Kälte zu trotzen.

Gemeinsam gegen die Gefahr: Im Winter kuscheln Schwanzmeisen nachts miteinander, obwohl sie eigentlich mehr Abstand zu ihren Artgenossen bevorzugen. Doch wer nur 7 bis 9 Gramm wiegt, kann einer eisigen Nacht schnell zum Opfer fallen. Daher ist es besser, über seinen Schatten zu springen und sich von den anderen wärmen zu lassen. (Foto: David Friel auf Wikipedia)
Am nächsten Morgen wird die Sitzordnung ohne viel Gewese aufgelöst. Der Trupp macht sich auf Nahrungssuche. Im tiefen Winter verbringen sie bis zu 96 Prozent ihrer Zeit damit, nach winzigen Insekten und Spinnentieren zu picken. Hier kommt ihnen ihr besonderer Körperbau zugute: Mit ihren langen Schwanzfedern können sie ausgezeichnet balancieren und mit ihrem winzigen Schnabel die kleinsten Tierchen picken. Sie klettern vor bis an die äußersten Zweigspitzen. Da sie die einzigen Vögel sind, die sich diese Nische erobert haben, finden sie dort verlässlich Beute.

Zweigakrobaten und Opportunisten: Neben winzigen Insekten und Spinnen fressen Schwanzmeisen auch kleinste Gliedertierchen, Larven, Eier, Blattläuse und Schildläuse, seltener Sämereien. Trotzdem kommen sie hin und wieder auch ans Futterhäuschen und holen sich Fett, Nussstückchen und Brotkrumen. (Foto: Hans Benn auf Pixabay)
Kunstvolles Kugelnest
Zwischen Januar und März wechseln die Weibchen hin und wieder den Trupp, denn in dieser Zeit finden sich die Brutpaare zusammen. Je nach Witterung setzten sich die frisch Verliebten immer wieder von der Gruppe ab und beanspruchen innerhalb ihres gemeinsamen Reviers ein eigenes Brutrevier.
Spätestens Mitte März bauen sie gemeinsam ihr kunstvolles Nest. In mindestens 1,5 Metern Höhe klemmen sie es auf Laubbäumen in Astgabeln oder flechten es in Nadelbäumen an äußere Zweige. Das Nest ist eine weiche und dehnbare Kugel aus Moos, Flechten, Spinnweben, Haaren und Federn. Manche Schwanzmeisen machen es sogar an der Außenseite mit Birkenrinde wetterfest. Innen wird alles dicht mit Federn ausgepolstert. Der Nestbau kann schon einmal drei bis vier Wochen beanspruchen.

Familienplatz: Sobald das Paar mit dem Nestbau beginnt, vertreibt es immer vehementer Artgenossen aus seinem Brutrevier. Schwanzmeisen lieben Wälder, Hecken und Gehölze, in denen sie sich und ihre Jungen gut im Dickicht verstecken können. (Foto: Sarah Toziegel auf Wikipedia)
Patchwork-Familien und fleißige Helferlein
Das Weibchen legt spätestens Ende April acht bis zwölf Eier, immer eins pro Tag, und bebrütet den Nachwuchs. Währenddessen schafft das Männchen Futter herbei. Nach etwa zwei Wochen schlüpfen die Jungen.
Nun fliegen beide Eltern aus, um Nahrung zu suchen. Für gewöhnlich sammeln sie die gleichen Tierchen wie im Winter, ergänzen den bunten Teller aber auch gerne noch mit Raupen von Nachtfaltern. In dieser Zeit kommt es häufig vor, dass ein Paar Unterstützung von zwei weiteren Schwanzmeisen bekommt. Sie kümmern sich dann gemeinsam um den Nachwuchs. Manchmal schließen sich sogar zwei Familien mit Helfern zusammen – Schwanzmeisen wissen eben, dass gemeinsam alles viel leichter von der Kralle geht.

Großfamilie: Die Jungvögel kommen nackt und blind zur Welt. Sie bleiben etwa zwei Wochen im Nest. Nachdem sie ausgeflogen sind, werden sie noch weitere zehn Tage von den Eltern gefüttert, bevor sie selbstständig sind. Da viele Altvögel bei der Aufzucht helfen, sind zehn Küken keine Seltenheit. (Foto: Pixabay)
Für gewöhnlich brüten Schwanzmeisen nur einmal im Jahr, sehr selten ein zweites Mal. Die Kleinen werden bis zu 15 Zentimeter groß, wiegen ausgewachsen 7 bis 9 Gramm und erreichen bis zu 3 Lebensjahre. Nach einem Jahr sind die geschlechtsreif und können eine eigene Familie gründen.
Übrigens: Schwanzmeisen kommen – bis auf Island – in ganz Europa vor. Doch sie sehen nicht überall gleich aus! Ihre Kopfzeichnung variiert je nach Lebensraum. In Süd- und Westeuropa kommen vor allem die "typischen" Schwanzmeisen vor, die einen gestreiften Kopf haben (Aegithalos caudatus europaeus). In Nord- und Osteuropa leben Schwanzmeisen mit einem schneeweißen Kopf, ganz ohne Streifen (Aegithalos caudatus caudatus). Bei uns in Mitteleuropa vermischen sie sich miteinander und haben mal gestreifte, mal graue, mal weißgescheckte und mal reinweiße Köpfchen.

Weiße Variante: Unabhängig der Kopffarbe lassen sich Schwanzmeisen immer an ihren Körperproportionen erkennen: in einem rundlichen Körper steckt ein sehr langer Schwanz. Tatsächlich ist das Verhältnis von Körperlänge zu Schwanzfedern ziemlich genau 1 zu 1. (Foto: Alastair Rae auf Wikipedia)
Zum Weiterlesen:
- Hume, Rob: Vögel in Europa, München 2010
- Castell, Peter und Harrison, Colin: Jungvögel, Eier und Nester der Vögel Europas, Nordafrikas und des Mittleren Ostens, Wiebelsheim 2004
- Schwanzmeise. Aegithalos caudatus, NABU
- Schwanzmeise, Wikipedia
- Individualdistanz, Wikipedia
- Unnützes Wissen über Schwanzmeisen, Kalle Nibbenhagen auf YouTube
- Berthold, Peter und Mohr, Gabriele: Vögel füttern – aber richtig, Stuttgart 2017